Skip to content

Müssen wir lernen, richtig zu atmen?

Nein - denn die gute Nachricht ist: unsere Atmung ist niemals falsch, auch wenn wir Probleme damit haben. Sie kann unzureichend sein, aber wir können etwas dafür tun, dass das Atmen leichter, entspannter und auch tiefer werden kann:

Wir können lernen, unseren Atem nicht (unbewusst) zu behindern und festzuhalten, sodass er sich selbst wieder regulieren kann, indem wir lernen uns selbst besser zu spüren und alle Atemimpulse von innen zuzulassen. Alles darf sein! Dann kann unser Körper das Beste aus seiner Situation machen und den besten Weg finden, auch wenn wir unter körperlichen Einschränkungen oder seelischen Belastungen leiden.

Es geht also darum, den Atem nicht von außen zu manipulieren, sondern sich immer mehr auf ihn einzulassen, wie er ist. Durch gezielte Bewegung, Berührung oder auch unsere Stimme können wir den Atem indirekt anregen oder beruhigen, und ihn gleichzeitig stärken. Auch die Atemmuskulatur profitiert davon. Dabei ist unsere Aufmerksamkeit wesentlich, und das können wir üben. Dazu brauchen wir das Vertrauen, dass sich der Organismus und damit auch der Atem so verändern kann wie es ihm gut tut, wenn er die Möglichkeit dazu bekommt.

Dann kann auch die Heilkraft des Atems auf allen Ebenen wirken, und wir erfahren uns auf neue Weise.

Meine drei wichtigsten Lehrerinnen auf dem Weg des Atems waren:

Wilhelmine Keyserling

1921 - 2010
... in deren Yogaunterricht ich schon mit 24 Jahren gelernt habe, dass die Achtsamkeit in der Bewegung der Schlüssel für Bewusstwerdung und damit für inneres Wachstum sein kann. Es gilt, das Gleichgewicht zwischen Halten und Lassen immer wieder neu zu finden und zu wahren, im Tun wie in der Ruhe. Diese Einsicht begleitet mich seitdem.

Sie hat mich gelehrt, durch Aufmerksamkeit Atem und Bewegung in den Asanas miteinander zu verbinden, ohne den Atem dabei zu etwas zu zwingen, und innerhalb einer vorgegebenen Bewegung das eigene Maß zu bewahren. Sie hat damals mein Interesse für den Atem geweckt. In ihrem Unterricht erfuhr ich die Kraft des Atems zum ersten Mal. Wir waren einander bis zu ihrem Tod verbunden.

Charlotte Selver

1901 - 2003
...die noch mit 101 Jahren unterrichtet hat und mir vermittelt hat, dass wir ganz und gar so sein dürfen wie wir sind, auch im Atmen.

Charlotte Selver war als Schülerin von Elsa Gindler eine der Pionierinnen im frühen Deutschland, welche erkannten, dass mechanische Körperertüchtigung ohne Bewusstheit nur begrenzte Wirkungen hat. Nachdem sie schon in Deutschland viele Jahre unterrichtet hatte, emigrierte sie 1938 nach Amerika, wo sie in mehr als 60 Jahren ihre Arbeit, welche sie dann Sensory Awareness nannte, entwickelte.

Grundlage ist eine Haltung von Offenheit und Achtsamkeit auch im Alltag. So gibt es keine vorgegebenen Übungsabläufe, sondern ein Erforschen von Bewegung, Kontakt mit anderen Menschen oder Wahrnehmungen in einfachen Settings. Ein Schlüsselwort dieser Arbeit ist das "Erlauben" im Gegensatz zum Erzwingen und Machen, oder zum Korrigieren von "Falschem". Das braucht Vertrauen in unsere Natur und in die Möglichkeit zu Veränderung und Wachstum durch organische Prozesse.

In Charlottes Arbeit war der Atem genauso wie der Umgang mit der Schwerkraft immer präsent, meist ohne direkt angesprochen zu werden. Sie hat mich gelehrt, den Atem selbstverständlich als Teil von mir zu erleben und ihm mit Neugier und Interesse zu begegnen, ohne ihn aktiv verbessern zu wollen.

Ilse Middendorf

1910 - 2009
...hat mich im "Erfahrbaren Atem" ausgebildet und meine Wahrnehmung für den Atem weiter geschärft.

Sie hat mit ihrer Atemlehre eine Methode entwickelt, den eigenen Atem in seiner Körperlichkeit spüren und entdecken zu lernen, das "Weit und Schmal" der Atembewegung zu erfahren und mehr und mehr zuzulassen.

Die von ihr entwickelten Übungsweisen ermöglichen die Vertiefung und Unterstützung des Atems ohne Manipulation und sind sehr gut in den Alltag integrierbar. Verbesserung des Körperbewusstseins, die Schulung der Wahrnehmung und vor allem das Freilegen des individuellen Atemrhythmus, der Ilse Middendorf ein zentrales Anliegen war, ermöglichen nach und nach nicht nur mehr körperliches Wohlbefinden, sondern auch immer besseren Kontakt zu sich selbst und zum eigenen Sein.